


Soest/Brilon-Wald. Diese Tour war ein Ausreißer in der so ruhmreichen Geschichte der Heldenausfahrten. Ein Bruch mit den ansonsten immer verlässlichen Wetterbedingungen, ein Bruch mit den ansonsten immer konstanten und konsequenten Trinkgewohnheiten und nicht zuletzt auch ein Bruch in der Radfahrermode.
Nasen und Finger waren schon kalt und klamm, als uns Matthias‘ Schwiegervater auf dem Rad aus Soest hinaus und auf die Feldwege gen Arnsberger Wald lotste. Den Senior schienen die mäßigen Temperaturen weniger zu stören als die nörgelnden Helden. Hut ab, mit 90 Jahren ist man entweder abgehärtet oder man merkts halt nicht mehr.
Bis Hirschberg war in Erwartung einer kleinen Erfrischung moderates Treten angesagt. Nach einer etwas unübersichtlichen Waldroute lag das Dorf dann vor uns. Schnell folgten wir unserem Tourenplaner Matthias den Berg hinauf und hinein in die Kneipe. Es dauerte nicht lange, da musste die Wirtin ein neues Fass hereinrollen. Mantaschalen und Stachelbeersahne wurden geordert, während die verschwitzten Trikots über dem Kamin ausdünsteten und der Altlehrer auf einer Eckbank zum Liegen kam. Gott sei Dank waren wir die einzigen Gäste.
Wieder zurück im Sattel öffnete Petrus prompt die Schleusen und schickte uns auch noch Nebel in den schon düsteren Forst. So hätten wir den armen Kerl beinahe übersehen, der dort am Wegesrand auf feuchtem Moos wie ein Käfer auf dem Rücken lag und nicht mehr auf die Beine kam. Auch ihn hatte der Regen überrascht. Zu dumm nur, dass sich der einsame Radler in seinen Schuh- und Wadentüten, die er sich zum Schutz überstreifen wollte, verheddert hatte. Der Direktor war als erster vom Rad und leistete Erste Hilfe.

Wie Martinko Altrus uns später in gebrochenem Deutsch erklärte, stamme er aus Ostbulgarien, sei von Beruf Scherenschleifer und befinde sich zurzeit auf Europatournee. Seine Dankbarkeit sollte uns die weitere Tour über begleiten – wir wurden ihn und seine Plastiktüten, mit denen er sich und seinen Schleifstein vor der deutschen Feuchtigkeit zu schützten suchte, trotz riskanter Fahrmanöver nicht mehr los. Seine verschwenderischen Kunststoffsysteme „Tüte in Tüte“ und „Tüte über Tüte“ sowie „Tüte an Tüte“ hat vergangene Woche in Berlin übrigens zum Verbot von Plastiktüten geführt. Worauf unser Martinko Deutschland fluchtartig verlassen haben soll.
Auf den letzten Metern bis zur Herberge in Brilon-Wald hatte die Dunkelheit Jogi verschluckt und gab ihn nicht wieder frei. Keiner konnte sich recht erinnern, wann und wo wir seinen empfindlichen Po das letzte Mal auf dem Gelsattel gesehen haben. Das Warten am Straßenrand sollte zur Geduldsprobe werden. Vor allem, weil das erste Pils in greifbarer Nähe schien. Dann endlich ein Lichtflackern in der Ferne. Mit kräftigem Tritt donnerte Jogi wutschnaufend heran und beschwerte sich bitterlich über die das miese Sozialverhalten der sogenannten Kameraden. Allerdings stellte sich später auch heraus, dass unser Jogi die Truppe unerlaubt und unangekündigt verlassen hatte. Nach einer heißen Dusche, in trockener Abendgarderobe und nach einigen von der Seniorwirtin mit viel Liebe und Feldwebel gezapfter Pilskens war das kleine Missgeschick schnell wieder vergessen. Zumal dann auch der Blinde im Hotel aufgetaucht war und für „elektrische“ Stimmung sorgte.

Der zweite Heldentag endete bereits nach einem fulminanten Frühstück. Das war wirklich so gut, dass es anschließend nur Berg ab gehen konnte und auch ging. Aus der Heldentour wurde eine Kaffeefahrt. Feuchtwarmer Auftakt in den Sätteln. Dann die erste Einkehrverweigerung in einer Dorfkneipe, die Petrus sofort mit kräftigem Dauerregen bestrafte. Obwohl Martinko sich kurzfristig in eine Ganzkörpertüte gehüllt hatte, blieb auch er nicht trocken. In Büren nahmen die Helden vor Verzweiflung mittags Kaffee und Kuchen zu sich, weil die Gastwirte die Hähne noch oben hatten. Die beiden Bedienungen konnten anschließend mit Schrubber und Aufnehmer die Heldenspuren beseitigen.
Also wieder aufgesessen, um sich trocken zu fahren. Wenigstens hatten die Nachfahren von Onkel Adam in irgendeinem Dorf zwischen Büren und Soest ein Einsehen und ihre Bauernklause geöffnet. Das Flaschbier half über die letzten windigen Kilometer etwas hinweg.
Aber schön war’s doch, vor allem in der Nachbetrachtung. „Wieder mehr Geld für’s leibliche Wohl ausgegeben als für die Hotelbetten“ meldete der Direktor einige Tage später triumphierend.
Geht doch, kann aber noch besser werden…


