Ich hätte es wissen müssen

Auch wenn der Sonntagmorgen nicht unbedingt die Zeit meiner höchsten Konzentration ist, hätte ich es wissen können – nein: müssen.

Bereits um 10 vor 10 Uhr nahm das Schicksal seinen Anfang. Georg, der Altlehrer und ich als ihr Direktor hatten sich versammelt. Kalt war`s. Der Altlehrer fragte scheinheilig, ob man denn nicht mal wieder über das “Panzergelände” nach Lendringsen, Asbeck, Eisborn usw. fahren solle? In einem Anfall von Selbstbewußtsein habe ich diesen Plan noch mit “… ist wohl zu windig da oben … ob wir besser im Wald fahren sollten? ” verhindern können.

Also schwenkte der Altlehrer auf eine Routenplanung Deilinghofen – Brockhausen – Volkringhausen und “dann mal sehen” um. Man werde schon sehen. Da genau hätte ich intervenieren müssen: fahre niemals hinter Lehrern her, das wird nix.

Aus dem “… man werde schon sehen…” wurde dann auch nix. Hinter Volkringhausen den Berg irgendwie hoch – ab dann eher Blindflug. Immer berghoch – aber mit felsenfesten Ansagen gespickt: ” … hier genau sind wir schon mal links gefahren, da kommt dann noch mal mal so eine Abbiegung nach Deilinghofen …” – unser geplanter Rückweg. Die mittlerweile fortgeschrittene Zeit und die vorgetäuschte Orientierung des Altlehrers ließ mich zweifeln, aber noch nicht verzeifeln.

Erst die Aussagen entgegenkommender Stock-und-Stein-Radler, man habe Balve gleich erreicht, überzeugte auch das Lehrpersonal, umzukehren. Umkehren, um nicht noch mehr verlorene Höhenmeter den Oberschenkel-Laktatwerten zu opfern. Selbst der Altlehrer fing langsam an, Entschuldigungen zu stammeln. Kyrill habe doch vieles verändert. Und überhaupt.

Erste schüchterne Blicke auf das Georg`sche Smartphone liessen uns einen Weg erahnen, der wohl letztlich über die Höhen des Ostberges geführt hätte. So weit aber sollte es denn doch nicht kommen – kaum hatten wir uns der Orientierungslosigkeit des Altlehrers entledigt und nahmen gestärkt von Selbstbewußtsein die neuen Höhenmeter auf uns – just da ließ Georg`s Urgewalt die Kette seines Fahrrades zerreissen.

Na super. Ein Ersatz-Kettenglied habe ich zwar im Werkzeug – aber der notwendige Kettennieter, den hatte der Altlehrer schon vor einigen Wochen mitsamt seiner gesamten Rucksackladung irgendwo liegen gelassen. Alles weg. Wahrscheinlich sogar mit dem Klassenbuch.

Georg hat dann Neele angerufen – die machte sich auf den Weg nach Volkeringhausen. Bis dort, glaubten wir, könne Georg einfach bergrunter rollen lassen. Weit oben am Berg waren wir ja wieder.

Nach diesem Telefonat war dann auch der Georg`s Akku auf 2%. Das Telefon-Akku meine ich. Is klar!

Wir haben uns dann oberhalb von Binolen getrennt (den Rest von Georgs Tour muss er selbst erzählen, wenn er denn überhaupt schon wieder zuhause ist …).

Mittlerweile hatte ich dann mein Smartphone aktiviert – da konnte der Altlehrer Richtungsänderungen ansagen, wie er wollte. Da weiß mein Telefon erheblich mehr!

Tja – und dann war alles ganz einfach – in Brockhausen sind wir aus dem Wald gebrochen. Zuhause war ich letztlich um 13:30 Uhr.

Einen Vorteil hatte das: wenn ich zu spät zum Essen komme, dann ist Anja schon mal, sagen wir: missgelaunt. Insbesondere wenn der Grund beim zweiten Bier in der Kneipe zu suchen ist. Im vorliegenden Fall meiner Verspätung erging Gnade vor Recht.

Und was lerne ich daraus? Genau: ich hätte es wissen müssen.

Nun bin ich Ende sechzig, fast siebzig – und seit meiner Einschulung in die städt. Volksschule Köln-Kalk sind nunmehr 62 Jahre vergangen. Seit dem ist mir eigentlich klar: Lehrern, Altlehrern zumal, sollte man mit gebotener Vorsicht begegnen. Heute gibt es ja den schönen Begriff der “Hochrisikogruppe” für sie. Und niemals, wirklich niemals, blind hinterher fahren! Das führt ins Verderben – oder wie in meinem heutigen Fall zu einer vierstündigen Ausfahrt in weit entfernte Galaxien.

Ich hätte es wissen müssen.

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